Ferien-Empowerment mit Zukunftskompetenzen
Unter dem Glasdach des Jugendgästehauses in Bielefeld hängen bunte Girlanden neben ausgedruckten Plakaten, bemalten Flaggen, vollgepackten MindMaps und Visual Recordings. Der Herbstwind braust durch ein offenes Seitenfenster. Für die 18 Teilnehmenden des Camps „Gender Empowerment“ im Schwerpunkt „Begabungen fördern“ ist ein großer Moment gekommen: Heute teilen und präsentieren sie ihre Ergebnisse in Form eines Barcamps.
Ein Barcamp für Vielfalt und Antidiskriminierung
Was haben Beauty Standards oder Catcalling mit Sexualisierung zu tun? Was steckt hinter Begriffen wie Body Positivity und Body Disphobia und wie können diese Konzepte dargestellt und vermittelt werden? Die Jugendlichen haben im Laufe ihrer LernFerien-Woche die unterschiedlichsten Formate dafür gefunden. Mila zum Beispiel trägt ein selbstgeschriebenes Gedicht über die Freiheit vor. Sie rezitiert: „Lasst uns Barrieren niederreißen, egal wie unsere Gender, ethnische Herkunft oder Spezies heißen (…) Lasst uns gemeinsam für Rechte einstehen und zusammen gegen Diskriminierung vorgehen!“
Drei der Jugendlichen haben einen Kurzfilm über ein Coming Out gedreht und Bayan, die in ihrer Freizeit Theater spielt, performt ein Zwiegespräch zum Lucky Girl Syndrom.
Empowerment und offene Diskussionskultur
Mira hat eine Präsentation über Choice Feminism vorbereitet und sagt: „Ich fühle mich empowered, wenn ich mir eigene Kleider nähe oder gerne koche, auch wenn das einem veralteten Frauenbild entspricht. Die Feministin in mir sagt: Auch das Private ist politisch, denn es ist ja motiviert von gesellschaftlichen Normen und Systemen. Aber Kochen und Nähen brauchen am Ende eben auch gute Fähigkeiten, und darum kann ich solche Tätigkeiten auch sehr wertschätzen.“ Ingo Pätzold führt das Camp vor Ort für den Träger Starke Kids e.V. durch und schätzt, wie es den Jugendlichen hier gelingt, die teils hochkomplexen und diskursreichen Themen zu durchdringen und angereichert mit persönlichen Rollenerfahrungen auch für Andere verständlich zu machen.
Zwischen den Beiträgen wird lebhaft diskutiert: über Pink Washing und Kapitalismuskritik, wenn Konzerne sich mit Limited Editions zum Pride Month in ein queerfreundliches Licht setzen wollen, zu stereotyper und toxischer Männlichkeit oder Mental Health Awareness.
Zum Ende des Barcamps stimmen die Jugendlichen ein letztes Mal in den wiederkehrenden Claim ihrer Campwoche ein: Mit einem lauten „3-2-1: Slay!“ verabschieden sie sich schweren Herzens voneinander. „Ich hätte wirklich nicht gedacht, was ich hier für krasse Erlebnisse haben werde“, sagt Bayan. „Ich hatte so viel Freiheit hier, zu entscheiden, welches Thema ich machen will, wie ich es darstellen will, und am Ende ist bei allen was richtig Gutes herausgekommen. Die Kreativität stand ganz vorn, aber auch das Gefühl von Vertrauen in der Gruppe. Wir alle sind zum Beispiel viel mehr dafür sensibilisiert worden, auf die Bedürfnisse von uns und anderen zu achten.“
Gemeinsam kreativ: auch im Lernen-lernen-Camp „Filmtastic“
Und Action!“ hieß es währenddessen für die 14- und 15-jährigen Schülerinnen und Schüler beim LernFerien-Camp „Filmtastic – Lernen leicht gemacht“ in Nideggen. Sie verbringen 6 Tage in einer anderen modernen und weitläufigen Jugendherberge. Dafür ging es in die herbstlich gefärbte Eifel. Schulform-übergreifend entdecken auch sie hier neue Wege des Lernens, erfahren Freundschaft und Zusammenhalt mit Gleichaltrigen und sehen bei spannenden Gemeinschaftsaktivitäten drinnen wie draußen, was sie alles drauf haben.
Enya, 14 Jahre aus der Nähe von Köln, ist eine von ihnen. Gemeinsam mit 4 anderen Jugendlichen hat sie gerade das Drehbuch für ihren Camp-Clip fertiggeschrieben. Jetzt geht’s an die Dreharbeiten: „Wir haben alle zusammen uns beraten, und jetzt haben wir eigentlich das, was wir alle wollten. Jeder hatte Ideen und wir haben das alles zusammengefasst, es wird eine Mischung aus Thriller und vielleicht auch ein bisschen Horror, weil wir auch im Dunkeln drehen.“ Nur der Titel fehlt noch, aber der wird sich bis zur morgigen Abschlusspräsentation gewiss noch finden. Regisseurin Ilka Sparringa begleitet die Jugendlichen der Jahrgangsstufe 9 an Gesamtschulen, Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien bei der Umsetzung mit viel Fingerspitzengefühl und gutem Gespür fürs Timing, gerade bei der oft etwas zeitaufwändigeren Postproduktion.
Skill-Training und Zukunftskompetenzen
Christoph Stumm vom gfi proCare betreut seit 2021 als pädagogischer Leiter das LernFerien NRW Camp in Nideggen. Hier werden Vormittags Lernskills trainiert und nachmittags realisieren die Jugendlichen eigenständig kleine Filmprojekte: „Es müssen Szenen dargestellt werden, wir brauchen Kinder, die schauspielern können, wir brauchen Kinder, die schreiben können und auch welche, die am Computer arbeiten können, und all das versuchen wir ihnen hier zu zeigen in der Woche.“ Und dabei wachsen die jungen Teilnehmer:innen ganz schön über sich hinaus. Auf den Camps werden Freundschaften geschlossen, gemeinsam Zukunftskompetenzen trainiert und Ideen in die Tat umgesetzt – ein Riesen-Gewinn für alle hier.
Seit 2008 bietet das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen die LernFerien NRW an, seit 2021 wird das Angebot gemeinsam mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) umgesetzt. Zweimal im Jahr – in den Oster- und Herbstferien – stärken landesweite Lerncamps das Potential von Jugendlichen, die sich dort durch verschiedene Lernmethoden neue Interessen und Zukunftsperspektiven erschließen können.